Ein Essay
Seit geraumer Zeit haben viele verstanden, dass die ungebremste Geschwindigkeit der Digitalisierung tief in unser Leben eingreift. PC und Internet haben in den letzen 15, 20 Jahren alles verändert, was uns in den 70er Jahren noch lieb und recht war. Über diese Zeitspanne gesehen ging das alles ja schnell, aber immer noch nachvollziehbar langsam, so dass es erlaubte, so zu tun als ob nichts geschehen wäre. Damit meine ich in diesem Fall das Geschäftsgebaren, also die Wahrung des althergebrachten Geschäftsmodells der Printmedien und deren Hüter, die Schweizer Medienmanager, die Verleger und die Verlagsleiter sowie das journalistische Personal.
Klar jammerten die Journalisten als erste als es darum ging sich der PCs zu bedienen und direkt in ein undurchsichtiges System hineinzuschreiben. Statt den Zeitgewinn in Recherche und Selbstbildung zu investieren, eignete man sich die Eigenschaft an genüsslich-neidisch sämtliche Konkurrenzprodukte vom Boden- bis zum Genfersee zu durchpflügen, um am Schluss sagen zu können: ich war gut, ich bin dabei, copy & paste!
Auch am anderen Ende der Nahrungsmittelkette kann man diese Haltung regelmässig beobachten, zum Beispiel, wenn man sich die Standpunkte auf SF 2 zumutet. Da kann es schon passieren, dass man Zeuge wird von Durchhalteparolen als ginge es darum die Mauern rund um die Rotationsoffsetmaschinen zu schützen, die da offenbar von unsichtbaren Kräften niedergerissen werden wollen. Was um Himmelswillen müssen wir tun, damit wir weiterhin roden und drucken können? Wie schützen wir das Abendland und seine Demokratien, wenn wir nicht mehr drucken können?
Man greift zu einer probaten Abstraktion, nennt sie „Code of Conduct“, dessen Kern ein existentialistisch anmutendes Bekenntnis wiedergibt, nämlich die strikte Trennung zwischen redaktionellem und kommerziellen Teil der Medien anstreben zu wollen.
Immerhin, man gibt vor zu handeln im Angesicht der unaufhaltsamen Erosion, wenn auch ziemlich bigott. Jammern verrät den bäuerischen Hintergrund, indem Neid getrieben auf der modernen Seuche der Gratiszeitungen herum gedroschen wird. Hüben wie drüben die schiere Verzweiflung, offensichtlich vor der drohenden Rezession mit ihrem unausweichlichen Einbruch bei den Stelleninseraten. Die Verleger bauen ihren Erfolg auf dünnem Eis - und alle schauen zu.
Es gibt eine Logik in der digitalen Evolution, vor der sich die Mehrheit der Verantwortlichen der vierten Gewalt im Lande die Ohren, die Augen und den Mund zuhalten. Es ist die Rückeroberung des Menschen und seine Mobilität. Man sieht, dass die einstigen Schlachtrufe der Wirtschaftsführer nach mehr Mobilität umfassend erhört wurden. Wir haben die Globalisierung, den Fall von Grenzen und Handelshemmnissen. Wir haben den freien Personenverkehr und einen Zustrom von billigeren Arbeitskräften. Nicht nur auf dem Bau und in der Landwirtschaft, sondern gerade mitten hinein in den geheiligten Mittelstand. Und alle haben den Zugang zum Internet, mehr und mehr auch via Mobiltelefon. Hand in Hand gehende, segensreiche Effekte des digitalen Wandels.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Schweizer die ausländischen Casinos genauso frequentieren wie unappetitliche Webseiten, ohne dass man in der Regel dabei erwischt wird. Wir spielen mit dem neuen Medium, noch spielen wir damit und erkennen die Möglichkeit, unseren Spass virtuell zu emigrieren, während wir die Rolle des Biedermanns in der Heimat noch ungefährdet spielen können. Nach dem Spiel ist vor der Ernsthaftigkeit des Lebens. Je enger der hiesige Markt für die Lohnabhängigen wird, je mehr müssen sie ihre Möglichkeiten ausgliedern. Jetten wir heute auf billigste Weise übers Wochenende nach Barcelona zum Schnecken essen, pendeln wir morgen täglich in die City irgendeines EU-Landes, um dort unseren Beitrag zu irgend einem Mehrwert zu leisten. Dabei wird unser traditionelles Medienverhalten vor die Hunde gehen. Es ist irrelevant geworden. Die Druckverleger müssen sich darauf einstellen bloss noch Produkte für die 50plus, in 10 Jahren nur noch für die 60plus zu liefern. Ein natürlich schrumpfender Markt.
Wir bereiten sich die Medienmanager darauf vor? Sie bauen zum Beispiel ein „News“-Portal. Gut so. Ist es aber ein „News“-Portal, das einem nomadisierenden Europäer Mehrwerte bringt oder ist es ein Portal wie es solche Portale mit Absender Zeitungsverlage seit 10 Jahren gibt? Ersetzt man einfach die alten mit einem neuen oder widmet man sich der Frage nach dem Wie und dem Was von morgen? Wie berücksichtigt man die Mobilität des modernen Nomaden? Kann man diese berücksichtigen? Wie geht man die Frage der Übertragung an? Welche Abhängigkeiten bestehen? Sollen sich darum die Telekommunikationsgesellschaften alleine kümmern oder stellt man Forderungen an diese? Welche? Wann will man solche Forderungen stellen? Nachdem man selbstverständlich die entsprechende Problematik verstanden hat. Wann? Vorher mischt man sich nicht ein. Das war ja schon beim Internet so und ist auch jetzt beim Handy nicht anders. Warum?
Wer heute glaubt, dass morgen nicht mehr gedruckt wird, jedenfalls nicht mehr News und Berichterstattungen kurzfristiger Natur, weil wir so etwas wie ein ePaper haben, muss sich heute mit jedem Aspekt der Mobilität beschäftigen. Man muss konsequent bereit sein, dass bald herrschende und wirtschaftlich bestimmende Paradigma heute bereits zu leben und dabei all das auf sich zu nehmen was man früher „Mühsal der Arbeit“ nannte. Das Morgen steht vor der Tür, Pioniere müssen auf den Plan und anpacken.
Wenn Swisscom rechtzeitig vor der Fussball Europameisterschaft Mobiles Fernsehen via DVB-H lanciert, dann öffnet sie ein Tor zur Zukunft. Wer MobileTV Mäusekino nennt, vernebelt sich selber den Blick auf eine Entwicklung, die möglicherweise das Leben mehr verändern wird als all die Interneteffekte, die wir in den letzten 10 Jahren beobachten konnten.
Zwar wird das erste DVB-H-Endgerät nicht aussehen wie das was wir in unserer Fantasie als ePaper sehen, genauso wenig wie ein Tablet PC aussieht wie ein ePaper. Doch das ePaper wird technologisch gesehen irgendwo dazwischen zu liegen kommen: A5-A4 gross, falt- oder rollbar, mit Farbdarstellung und Audiovideo-Wiedergabe, Datenempfang via DVB-H, Rückkanal via Mobilfunk. Soweit die Hardware.
Wie aber steht es mit den Softskills, um das ePaper professionell bespielen zu können?
Können wir die Voraussetzungen dafür genauso klar aufzählen?
Wie müsste ein „Code of Conduct“ aussehen, um dieses Geschäft steuern zu können? Wie müssten die Stellenausschreibungen lauten für Leute, die ein ePaper mit Leben und Mehrwert füllen sollen? Wie komplex wird und soll es werden, um ein ePaper wirtschaftlich betreiben zu können? Mit welcher Wertschöpfungskette ist beim ePaper zu rechnen? Wie sieht das Geschäftsmodell aus? Wird das ePaper bestehende Informationsträger substituieren? In welchem zeitlichen Ablauf soll das geschehen? Welche Lernschritte müssen vorgesehen werden, muss der Leser- und Werbemarkt vollziehen, um ein ePaper zu akzeptieren? Wie sieht die rechtliche Situation aus? Wird das ePaper gesellschaftspolitisch relevant? Wird es ein begrenztes Sendegebiet geben und damit die Grösse des Wirtschaftgebiets staatlich bestimmt? Fällt ein ePaper plötzlich unter das Radio- und Fernsehgesetz, weil der Anteil an laufenden Bildern den geschriebenen Teil um ein mehrfaches überragt? Wer darf ein ePaper verlegen? Welche Frequenzen stehen überhaupt zur Verfügung und wer wacht und entscheidet über die endlichen natürlichen Ressourcen?
War das Agenda-Setting der Dreikönigstagung des Medieninstitutes des Verbandes der Schweizer Presse dieses Jahr dem Jahr 2008 angemessen? Oder hätten nicht all diese Fragen gestellt und beantworten werden müssen im Angesicht dessen, was mit den DVB-H-Frequenzen in diesem Land passiert? Die grossen Medienplayer standen in den letzten 12 Monaten abseits. Schauten und hörten sie wenigstens zu? Wie laut müssen die Korken der anderen knallen, um sie zu wecken?
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